Die Orangerie in Kirchheimbolanden hat vor zweihundert Jahren erstmals Zitrusfrüchte in der Pfalz beheimatet, damals eine Sensation für Bauern und Gärtner. Mitte Juni fand nun in der Orangerie eine Veranstaltung statt, die wiederum ein Meilenstein in der Landwirtschaft werden könnte. Das Symposium “Boden gut machen” der Stiftung Lebensraum war der Startschuss für die Einführung von Humuszertifikaten in Rheinland-Pfalz. “Als Förster und Waldbesitzer sehe ich unmittelbar, wie sich Böden und Klima verändern.“, so Landrat Rainer Guth bei der Eröffnung des Symposiums „Boden gut machen“ der Stiftung Lebensraum am Freitag in der Orangerie in Kirchheimbolanden. Mit 120 Gästen war der Westflügel der Orangerie bis auf den letzten Platz gefüllt. Guth begrüßte Landwirte, Unternehmer, Vertreter des Bauern- und Winzerverbandes, des ökologischen Landbaus, von Gartenbaubetrieben und interessierte Bürger, die sich in Vorträgen und Workshops mit den Themen Klimaveränderung, Humusaufbau sowie dem Projekt „regionale Humuszertifikate“ der Stiftung Lebensraum auseinandersetzten.
“Alle reden vom Klimawandel, die Stiftung Lebensraum handelt”, mit diesem pointierten Statement beschrieb Katrin Mockel-Görner das Selbstverständnis und die Aufgabenstellung der jungen Stiftung. Anders als beim bisherigen Emissionshandel via CO2-Zertifikate geht es den Stiftungsakteuren nicht um bloße “Luftbuchungen”, sondern um ein regionales Kreislaufsystem, bei dem Landwirte, Unternehmer, Bürger und Kommunen Hand in Hand arbeiten. Für gesunde Böden, dauerhafte CO2-Bindung und solidarische Wertschöpfung in der Region.
Aber warum ist das Ganze überhaupt notwendig?, darauf ging Dr. Gunther Tiersch, Chefmeteorologe beim ZDF in Mainz, in seinem fundierten Fachvortrag ein. Er erläuterte den Gästen, dass Klima die langfristige Wettersituation umschreibt, in der Regel über 30 Jahre und mehr. Eine Veränderung der Durchschnittstemperatur um 1 Grad mag da nicht viel erscheinen, kann jedoch gravierende Folgen nach sich ziehen. So tauchen plötzlich Insekten wie die afrikanische Tigermücke auf, die Überträger des Dengue-Fiebers ist. Starkregen, Stürme und Orkane können ebenso zunehmen wie die Zahl der extrem heissen Tage über 35 Grad. Und das alles nicht nur weit weg am Ende der Welt, sondern auch hier bei uns in Rheinland-Pfalz, so Dr. Tiersch. Sein Appell zum Schluss, es ist jetzt an der Zeit zu handeln, um den menschengemachten Klimawandel zu stoppen oder doch zu bremsen.
Wie das konkret möglich ist, zeigte Christoph Fischer in seinem Vortrag. Sein Interesse gilt den ältesten Bewohnern unserer Erde, den Bakterien und Mikroorganismen. Seit über 3 Milliarden Jahren tummeln sie sich auf diesem Planeten und haben ihn überhaupt erst bewohnbar gemacht für alle anderen Lebensformen. Ihr Markenzeichen ist es, alles und jedes zu verstoffwechseln. Also in seine Bestandteile zu zerlegen, neu zusammenzusetzen und dann wieder auszuscheiden. Diese geniale Fähigkeit können wir uns zunutze machen, wenn es darum geht, “Problemstoffe” wie Mist, Gülle, Pestizide in eine anderes Milieu zu überführen und damit unschädlich, ja sogar nützlich zu machen. Christoph Fischer an diesem Tag zuzuhören, war wie Lesen lernen. Unglaublich spannend und eigentlich ganz einfach. Statt wie üblich die Bakterien, vor allem die gefährlichen multiresistenten Keime, einfach wegzuwischen und alles scheibar klinisch rein zu machen, setzt er auf die Übermacht der “guten” Mikroben. Ihnen bietet er ein wachstumsförderndes Umfeld und ausreichend Nahrung, damit sie “die bösen Buben” unter den Kleinstlebewesen in Schach halten. Und er redet nicht nur darüber, sondern zeigt seit vielen Jahren in der Praxis, dass und wie es funktioniert.
Nach einer wohlverdienten Pause stellte Michael König, selbst erfolgreicher Unternehmer und Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Lebensraum die Humuszertifikate vor. Unternehmen, Kommunen, Bürger, alle die CO2 verursachen (und wer tut das nicht?) können mithilfe der Stiftung ihre Treibhausgas-Emissionen berechnen, reduzieren und den verbleibenden Rest kompensieren. Dafür zahlen sie 45 Euro je Tonne CO2. Landwirte können im Gegenzug Humus auf ihren Äckern aufbauen und so schon mit 1% mehr Humus bis zu 50 Tonnen CO2 auf einem Hektar binden. Dafür erhalten sie 30 Euro pro Tonne CO2. Mit den verbleibenden 15 Euro finanziert die Stiftung Lebensraum die gesamte Initiative Humuszertifikate, begleitet, berät und schult Landwirte und Unternehmen im eigenen Kompetenzzentrum Boden, führt die zertifizierten Untersuchungen durch und dokumentiert alles transparent für die Öffentlichkeit. Wenn Sie mehr über die Humuszertifikate erfahren wollen, können Sie auf der Webseite einen umfangreichen Fachartikel lesen, den Joachim Böttcher, der Stiftungsvorsitzende und strategische Kopf der Humuszertifikate, geschrieben hat.
Nach soviel Informationen gingen die Teilnehmer in drei Workshops, um gemeinsam die nächsten Schritte der Umsetzung zu besprechen.
- Eine Gruppe für Unternehmen, die unvermeidbare Treibhausgase kompensieren wollen
- Eine Gruppe für Landwirte, die CO2 im Boden binden wollen
- Eine Gruppe für Bürger, Kommunen und Organisationen
In den Workshops gab es viel Zustimmung für die Humuszertifikate und natürlich auch eine Reihe von Fragen. Und, ganz besonders wichtig, es gab erste Einschreibungen für das Programm der Humuszertifikate. Der offizielle Start ist der 1. Januar 2020, doch ab sofort können alle Interessierte sich einschreiben oder vertiefende Informationen anfordern. Einfach eine Mail schreiben an d.dreher@stiftunglebensraum.org
Und natürlich braucht die junge Stiftung Lebensraum auch weitere Gelder, um dieses zukunfstweisende Projekt – eine enkeltaugliche Landwirtschaft- zu finanzieren. Dazu wurde eine eigene Spendenseite eingerichtet.