Das Wunder von Mals

„Pestizidtirol“, so nennt Alexander Schiebel in seinem Buch die Region Südtirol im Dreiländereck Italien, Österreich und Schweiz. Bekannt ist Südtirol als Urlaubsregion und Obstbaugebiet und viele Menschen verbinden mit dem Namen saftige Täler, Berggipfel und friedlich grasende Kühe. Weniger bekannt ist, oder soll man sagen war, dass die Landschaft um Bozen und Meran und zunehmend auch die letzten Täler des Vinschgau vom industrialisierten Obstbau in Besitz genommen werden. Statt lieblicher Streuobstweisen ziehen sich nun kilometerweite Monokulturen durch die Landschaft mit hunderttausenden von Betonpfeilern, um die Obstbäumchen zu stützen, die gar nicht mehr auf ihrem eigenen Stamm ruhen können. Und weil in dieser landwirtschaftlichen Steppe Vögel und Insekten aussterben und dafür Pilzerkrankungen und Schädlinge zunehmen, werden die Felder bis zu 14-mal im Jahr mit Pestiziden, Fungiziden und Herbiziden besprüht. Laut italienischem Statistikamt ISTAT werden 42,02 Kilo Pestizide in Südtirol pro Hektar ausgebracht, italienweit sind es nur 6,66 Kilo.

„Das Wunder von Mals“, das gleichnamige Buch und der Film erzählen die Geschichte der Menschen in der Gemeinde Mals im oberen Vinschgau, etwa 60 Kilometer von Meran entfernt. Die Protagonisten, allesamt echte Typen mit Ecken und Kanten, schaffen es gegen alle Widerstände, eine Volksabstimmung in Mals durchzusetzen, bei der die Bürger mit Dreiviertelmehrheit (76%) für ein schrittweises Verbot von Pestiziden in der sehr großflächigen Gemeinde stimmen. Mit Unterstützung des Bürgermeisters erreichen sie ein Jahr später auch den entsprechenden Beschluss im Gemeinderat. Doch Bauernbund, Landeshauptmann und Landesregierung von Südtirol, sprechen ihnen das Recht ab, einen solchen Beschluss überhaupt fassen zu können. Und so geht es hin und her, bis heute.

Ist das nun ein Sieg oder eine Niederlage? Diese Frage taucht im Buch immer wieder auf. Ein Sieg ist es auf jeden Fall für den Mut einzelner Bürger, das Schicksal ihrer Gemeinde selbst in die Hand zu nehmen, für das Erlernen von gesellschaftlichem Widerstand und von Resilienz. Eine Niederlage ist es sicher auch für die demokratischen Möglichkeiten Einzelner gegenüber der „großen Politik und Wirtschaft“ und vor den Repressalien der Macht, wie Polizeibefragungen, Gerichtsprozesse, Vandalismus und Drohungen. Ein wenig Trost mag darin liegen, dass Sieg oder Niederlage oft erst viel später in der Geschichte erkennbar werden. Oder wie es ein griechischer Feldherr nach einem Sieg über die Perser kurz und knapp auf den Punkt brachte: „Noch so ein Sieg und wir sind verloren“.

Buch und Film sind auf jeden Fall lohnenswert, für alle, die bürgerschaftliches Engagement organisieren und Veränderungen gegen allen Widerstand erreichen wollen. Und ein Geheimnis der Malser sei hier schon verraten: “Es muss immer auch Freude machen”.

Und wie geht die Geschichte weiter?
Heute, im Frühjahr 2020, währt die Auseinandersetzung um ein Verbot von Pestiziden im Oberen Vinschgau schon mehr als 5 Jahre. Wie ist die aktuelle Situation und wie geht es weiter, darüber sprachen wir mit Alexander Schiebel, dem Autor des Buches und Regisseur des Films „Das Wunder von Mals“.

Wie ist der aktuelle Stand vor Ort?
Seit eineinhalb Jahren gelingt es der Agrarlobby, das Wirksamwerden des Gemeindebeschlusses (Verbot von Pestiziden auf dem Gebiet von Mals) von 2015 zu verhindern. Die Fristen, mit unserer Aktionsgruppe dagegen vorzugehen, würden im Moment gerade auslaufen, sind jedoch durch die Corona-Pandemie verlängert worden. Jetzt ist vom Bauernverband Anzeige gegen mich als Autor des Buches erstattet worden wegen angeblich falscher Behauptungen. Und weitere Personen sollen ebenfalls angezeigt werden. Zu erwarten ist ein langwieriges, teures Gerichtsverfahren.

Gibt es Obstbauern, die ohne gesetzliches Verbot auf Pestizide verzichten und nachhaltiger wirtschaften?
Ja, die Zahl der Bauern, die biologisch und nachhaltig wirtschaften, steigt in Südtirol ebenso kontinuierlich wie in den Nachbarländern. Es ist noch immer eine Minderheit und doch ist das ein Zeichen der Hoffnung.

Die Auseinandersetzung währt nun schon länger als 5 Jahre. Hat Sie das eher erschöpft oder stärker und resilienter gemacht?
Aktuell sieht es eher so aus, als seien wir erschöpft. Viele Aktive der Protestbewegung erleben Ausgrenzungen oder persönliche Nachteile für sich und ihre Familien. Und wie in fast allen Initiativen (und wie im gallischen Dorf) gibt es auch interne Meinungsverschiedenheiten und Richtungsdiskussionen. Das ist aber eine Momentaufnahme, fragen Sie mich in ein paar Monaten wieder, dann kann es anders ausschauen.

Was sind Ihre Projekte für die Zukunft?
Gemeinsam mit Valentin Thurn ist ein Filmprojekt zum Thema „Armut“, oder besser Armutsbekämpfung geplant. Bis heute ist das Projekt noch nicht finanziert und es hat mich erstaunt, wie viele Menschen sich des Themas Armut mit einem Handwischen entledigen. Ich habe auch vor, ein Buch über das anstehende Gerichtsverfahen zu schreiben, das mich erwartet. Geplanter Titel: „Der Prozess“. Es ist wirklich nicht leicht, dass nötige Budget für die hohen Gerichtskosten und meinen Arbeitseinsatz beim Schreiben des Buches zu bekommen. Daher bitte ich auch um  Unterstützung, auf meiner Webseite biete ich die Möglichkeit, mich in meinem Einsatz zu unterstützen, indem man das Buch vorab bestellt.

Herzlichen Dank Herr Schiebel für das Gespräch und alles Gute für Sie und „die tapferen Malser“, wie Sie in Ihrem Buch schreiben.

Das Gespräch führte Andreas Görner für die Redaktion unserer Stiftung.

 

Buchtipp:
Das Wunder von Mals
Wie ein Dorf der Agrarindustrie die Stirn bietet
Alexander Schiebel
Oekom Verlag, München 2017,
246 Seiten Paperback zum Preis von 19,00 €
ISBN 978-3-960060147

Der Film „Das Wunder von Mals“ kann auf Vimeo zum Preis von 9,90 € gekauft werden.

Eine Dokumentation von ARTE über die Aktivisten von Mals können Sie hier sehen.

Das unbeugsame Dorf im Vinschgau